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Authentisch sein in einer inszenierten Welt

In einer performativen Welt und einer Welt der sozialen Netzwerke, in der jeder Mensch jederzeit eine Bühne findet und sich so darstellen kann, wie er oder sie möchte, stellt sich die Frage: Was bedeutet es, in dieser Welt authentisch zu sein? Ist es wichtig? Und wie geht es?


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Zwischen perfekten Online-Identitäten, gesellschaftlichen Erwartungen und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung scheint Authentizität zu einer Art Sehnsuchtsbegriff aber auch Statussymbol geworden zu sein. Authentisch zu sein gilt als erstrebenswert und vielfach als Erfolgsfaktor. Die Komplexität hinter dem Authentizitätsbegriff wird dabei jedoch selten thematisiert. Ein Versuch…

 

Was ist Authentizität?

Bei der Suche nach einer Definition von Authentizität taucht häufig die Formel auf: Authentisch ist, wer im Einklang mit seinem inneren Selbst lebt. Wer sich nicht verstellt.

Doch was ist dieses „innere Selbst“?


Die Existenzanalyse beschreibt Authentizität als eine Haltung, die aus der eigenen Person heraus entsteht: aus Werten, Gewissen, Empfinden und der Fähigkeit, Gestalter:in des eigenen Lebens zu sein. Es geht also nicht um äußere Inszenierung, sondern um innere Stimmigkeit.


Unsere Werte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie lassen sich nicht im Labor messen – aber wir selbst sind hervorragende Indikatoren:


  • Wenn unser Verhalten unseren Werten entspricht, fühlen wir uns wohl, manchmal sogar stolz.

  • Wenn wir gegen sie handeln, spüren wir Unbehagen, schlechtes Gewissen oder Scham.


Authentizität bedeutet daher weniger, einem abstrakten „wahren Selbst“ nachzujagen, sondern vielmehr wahrzunehmen, welches Verhalten und welches Leben sich stimmig anfühlt – und schließlich danach zu handeln.

 

Authentizität ist kein Ego-Trip!

Als Menschen sind wir immer in Beziehung – zu anderen, zu unserer Umwelt, zu unserer gesellschaftlichen Rolle. All diese Wechselwirkungen stellen für uns wertvolle Lernfelder dar, die uns helfen, zu erkennen und zu erleben, wer wir sind und was wir brauchen. Als Teil von Gemeinschaften, haben aber nicht nur wir Bedürfnisse, Wünsche und Werte, nach denen wir leben. Statt Authentizität im Sinn von „Ich mache, was ich will“, sollte unsere Einstellung einem „Ich stehe zu mir – im Bewusstsein, dass ich Teil eines Wir bin“, gleichen. Friedemann Schulz von Thun spricht daher – statt von Authentizität – von Stimmigkeit und meint ein Verhalten, das


  • zu meinen inneren Einstellungen, Bedürfnissen und Werten passt,

    und gleichzeitig

  • die Situation und die Bedürfnisse meines Gegenübers berücksichtigt.


Manchmal ist es stimmiger, zurückzustecken, sich zurückzuhalten oder etwas nicht auszusprechen. Nicht, weil man sich verbiegt oder unehrlich ist – sondern weil man die Situation, die Beziehung oder das Gegenüber ernst nimmt und vielleicht bewusst vor die eigenen Bedürfnisse stellt.


Authentisch zu sein bedeutet, das Eigene zu kennen, aber zugleich das Gemeinsame mitzudenken. Es bedeutet, die eigenen Werte ernst zu nehmen, aber nicht auf Kosten anderer. Und es bedeutet, sich selbst zu zeigen – ohne die Verantwortung für andere, die wir als Teil der Gesellschaft haben, abzulegen.

 

Warum auch „fake it until you make it“ authentisch sein kann

Spannend wird es dort, wo Authentizität und gezieltes Verhaltenslernen sich treffen.Oft wird „fake it until you make it“ als Gegenteil von Wahrhaftigkeit verstanden – als das Aufsetzen einer Maske. Doch das greift zu kurz.


„Fake it until you make it“ kann authentisch sein, wenn:


  • ich meine Werte und Ziele kenne,

  • das Verhalten, das ich übe, zu einem Selbst passt, das ich bereits fühle aber noch nicht zeigen kann,

  • oder zu einem Selbst passt, zu dem ich mich entwickeln möchte (solange diese Form der Persönlichkeitsentwicklung intrinsisch motiviert und nicht durch äußere Motivatoren vorgegeben ist).


Manchmal ist ein Verhalten noch nicht vertraut, aber innerlich stimmig, weil es mich dorthin führt, wo ich eigentlich hinmöchte. Es fühlt sich vielleicht ungewohnt an – aber nicht falsch.


Dann ist „fake“ nicht Täuschung, sondern kann auch eine Brücke sein, zur eigenen (zukünftigen) Stimmigkeit, ein schrittweises Ausprobieren dessen, das bereits in mir angelegt ist, aber noch Übung braucht, um selbstverständlich zu werden.


So verstanden ist Authentizität nicht nur das Festhalten an dem, was ich schon bin, sondern auch der mutige Schritt in das hinein, was ich noch werden will.

 
 
 

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