Warum wir weinen – Tränen als Ventil der Seele?
- charlotteenzelsber
- vor 5 Tagen
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Trauer, Wut, Überforderung, Rührung – wir alle weinen, wenn uns etwas zutiefst berührt, positiv wie negativ. Tränen sind ein Ausdruck innerer Prozesse – biologisch, emotional und sozial bedeutsam. Und doch lassen wir sie in der Öffentlichkeit nur ungern zu.

Kein anderes Lebewesen als der Mensch weint aus emotionalen Gründen. Bis zur Pubertät vergießen Jungen und Mädchen etwa gleich oft Tränen – nach dem 13. Lebensjahr verändert sich das Bild: Laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Augenheilkunde fließen bei Frauen etwa 30 – 64 Mal pro Jahr emotionale Tränen, bei Männern nur etwa 6 – 17 Mal.
Auch die Dauer der einzelnen Weinprozesse ist bei Frauen länger und von intensiverem Schluchzen begleitet als bei Männern. Diese Unterschiede lassen sich etwa durch gesellschaftliche Erwartungen erklären beziehungsweise durch Erfahrungen in der Kindheit, wenn männliche Vorbilder seltener beim Tränen vergießen beobachtet wurden, als weibliche.
Doch unabhängig vom Geschlecht: Weinen ist eine universelle Ausdrucksform. Es ist eine Sprache, die wir bereits kurz nach der Geburt beherrschen – und die, richtig verstanden, viel über unsere emotionalen Bedürfnisse verrät.
Die drei Arten von Tränen
Tränen sind nicht gleich Tränen. Forschende unterscheiden drei Haupttypen:
Basale Tränen Sie halten die Augen feucht, schützen die Hornhaut und spülen Fremdstoffe fort – ein wichtiger Schutzmechanismus.
Reflextränen
Sie treten auf, wenn Reize wie Rauch, Wind oder Zwiebeln die Augen reizen. Basale und Reflextränen zusammen machen im Laufe des Lebens bis zu 100 Liter Tränenflüssigkeit aus.
Emotionale Tränen
Diese entstehen bei starken Gefühlen – und sind biochemisch einzigartig. Emotionale Tränen enthalten mehr Stresshormone (z. B. Adrenalin, Cortisol) sowie Endorphine, Prolaktin und Oxytocin. Während manche Forschende annehmen, dass der Körper sich durch Tränen gewisser Stoffe entledigt und dadurch Entspannung erreicht wird, konnte dieser Effekt wissenschaftlich bisher nicht bestätigt werden, vor allem, da die Mengen der ausgeschiedenen Stoffe sehr gering sind.
Wann und warum wir weinen
Tränen entstehen meist, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt ist – oder wenn es besonders tief berührt wird. Forschende der Universitäten Ulm und Sussex haben fünf emotionale Auslöser identifiziert, die uns besonders häufig zum Weinen bringen:
Einsamkeit: Wenn Nähe fehlt oder Verbundenheit verloren geht, etwa bei Liebeskummer oder auch Heimweh.
Harmonie: Wenn wir tief empfundene Verbindung erleben – etwa bei einer Hochzeit oder einem Wiedersehen.
Überforderung: Wenn wir unsere eigene Kompetenz infrage stellen, etwa im Arbeitskontext.
Machtlosigkeit: Wenn wir Ungerechtigkeit oder Ohnmacht empfinden, etwa wenn wir eine Todesnachricht erhalten.
Medienkonsum: Wenn Geschichten, Musik oder Filme Emotionen wecken. Diese Tränen werden sozusagen stellvertretend – etwa für die Person in einem Film – vergossen, können aber einen Hinweis darauf geben, welche Themen uns auch im Alltag berühren und möglicherweise unterdrückt werden.
Ob emotionale Tränen beruhigend wirken oder nicht, darüber ist sich die Forschung nicht einig. In einer Studie hat sich gezeigt, dass Proband:innen Weinen als entlastend empfinden können, wenn ihr letztes Weinen bereits länger zurückliegt. Wird allerdings generell häufiger geweint, bleibt der Entlastungseffekt aus.
Eines steht aber fest, emotionale Tränen sind als Ausdrucksform zu verstehen und können ein bedeutender Faktor sozialer Sprache sein. Tränen sind ein Signal an andere. Sie zeigen: Ich bin verletzt, bewegt oder brauche Unterstützung.
Eine niederländische Studie zeigte, dass Menschen stärker mit Mitgefühl reagieren, wenn sie Tränen im Gesicht anderer sehen. Tränen fördern also Empathie und Bindung – sie sind eine nonverbale Form der Kommunikation, die Vertrauen schaffen kann.
Gleichzeitig werden sie in vielen Kulturen aber als Zeichen von Schwäche interpretiert. Dieses Stigma führt dazu, dass viele Menschen ihr Weinen unterdrücken – vor allem Männer. Doch psychologisch gesehen ist das kontraproduktiv: Das Zurückhalten von Tränen kann emotionalen Druck erhöhen und sogar körperliche Symptome hervorrufen.
Weinen bedeutet, Emotionen anzunehmen, anstatt sie zu verdrängen – und sich selbst ein Stück besser zu verstehen. Wer Weinen als das erkennen und annehmen kann, dem/der können Tränen als Botschaft und Ressource dienen. Tränen können uns zeigen, wo wir verletzlich sind – und wo wir Menschlichkeit empfinden. Sie sind Ausdruck dessen, was uns verbindet: die Fähigkeit, zu fühlen.




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